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Ein Wochenende bei Schwängelbells dot com

Ich hatte es bereits mehrfach angekündigt und freue mich, dass es auch in diesem Jahr wieder geklappt hat. Mein Lieblingsinternetportal öffnet an diesem Wochenende für euch. Schon seltsam, wie lange mich diese kleine Idee inzwischen begleitet.

Die erste Kurzgeschichte, in der der Versandhandel seinen großen Auftritt hatte, kam 2011 heraus und hieß "Von Rentieren und Ritualen". Die Geschichte ist inzwischen in meinem Sammelband "Von Männern und der großen Liebe" erhältlich.

Damals konnte ich nicht ahnen, dass mich diese Idee quasi über all die Jahre begleiten würde. Es gab auch andere Autoren, die sich mein Internetportal für eigenen Geschichten ausgeliehen haben. Mehr als einmal habe ich auch darüber nachgedacht, die Domain endlich zu sichern.

Um es an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich zu sagen: Schwängelbells dot com gibt es nicht. Die Seite erwacht lediglich in der Weihnachtszeit bei mir zum Leben.

Es macht in jedem Jahr Spaß mir dazu etwas auszudenken und so könnt ihr auch morgen wieder ein ganz besonderes Schwängelbells-Geschenk gewinnen.

Apropos Gewinn: Alle, die am letzten Sonntag kommentiert haben und gern eine Karte möchten, sollten mir so schnell wie möglich ihre Adresse auf den üblichen Wegen zukommen lassen (also per email an nachricht@karostein.de oder kath74@gmx.de oder per Messenger, Facebook ...)

Hier kommt erst einmal das fünfte Kapitel einer namenlosen Weihnachtsgeschichte :))))

Ich wünsche Euch viel Spaß und vergesst nicht, morgen vorbeizuschauen!

Liebe Grüße

Karo

 

5.

Fassungslos starrte Sönke den Mann auf der kleinen Bühne an. Eigentlich war er ohne den dicken Mantel und die Mütze kaum wiederzuerkennen, aber Sönke hatte keinerlei Zweifel. Pauli offenbar ebenfalls nicht, denn sie rutschte nervös auf ihrem Sitz herum und boxte ihm ständig in die Seite.
„So ein Zufall“, raunte sie kichernd. „Nein, das ist Karma. Dein Schicksal. Du solltest dem Mann offensichtlich begegnen.“
„Hast du irgendwelche illegalen Drogen genommen“, erkundigte er sich grimmig und schüttelte den Kopf. „Du redest Bullshit.“
„Du wirst schon sehen. Manchmal geschehen an Weihnachten Wunder.“
„Bitte Pauli, zwinge mich nicht dazu, dir den Status als beste Freundin abzuerkennen.“
Sie drehte den Kopf in seine Richtung, sah ihn lange an und seufzte schwer.
„Du kannst nichts dagegen tun.“
„Das bezweifle ich“, erwiderte Sönke mit einem verächtlichen Grinsen. „Glaubst du etwa, ich kann ohne dich nicht leben?“
„Nein“, erwiderte sie und begann leise zu lachen. „Kannst du nicht, aber ich meinte ihn und diese schicksalhafte Begegnung.“
„Du spinnst“, knurrte er und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. Mehr konnte er jedoch darauf nicht erwidern, denn die Leiterin der Bibliothek begann zu sprechen und stellte den Autor kurz vor. Dann ging sie von der Bühne, das Publikum klatschte und David lächelte auf eine Weise, die Sönkes Herz schneller schlagen ließ.
„Ich freue mich hier zu sein“, sagte David. Die Hände steckten lässig in den Hosentaschen. Die Ärmel des Hemdes waren locker hochgerollt und offenbarten Tattoos. Grauen Strähnen durchzogen seine nahezu schwarzen Haare. Auf seinem Gesicht zeichnete sich ein Dreitagebart ab. Die Augen funkelten dank der Strahler, die auf ihn gerichtet waren. Sönke fühlte sich hin und hergerissen. Dieser Mann war ohne Zweifel sexy und attraktiv. Er hatte eine seltsame Anziehungskraft. Noch immer konnte er das Kribbeln spüren, als sich dessen Arme um ihn schlossen. Ein magischer Moment, auch wenn die Worte furchtbar kitschig klangen.
„Manchmal geht das Leben seltsame Wege. Ich hätte zum Beispiel niemals gedacht, dass ich ein Buch schreiben würde. In Deutsch war ich eine echte Niete. Wenn meine Deutschlehrerin das wüsste ...“ Ein Lachen erfüllte den Raum und auch Sönke konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Zum Glück gibt es aber gute Lektoren.“ Er grinste ins Publikum. Für einen Moment hatte Sönke den Eindruck, als wenn sich ihre Blicke trafen, aber das wäre wohl wirklich ein unglaublicher Zufall. Zumal er sich recht sicher war, dass der Mann dort vorn kaum jemanden erkennen konnte. Das Licht blendete viel zu sehr, um einzelne Gesichter wahrzunehmen. Trotzdem sorgte die Vorstellung für ein warmes Prickeln in seinem Bauch. Er schloss kurz die Augen, um sich zu sammeln und die merkwürdigen Gedanken abzuschütteln.
David erzählte inzwischen von seinem Freund, dessen Lebensweg er in diesem Buch festgehalten hatte. Es war nicht sein Lebenspartner, sondern tatsächlich ein Freund aus Kindertagen. Instinktiv drehte er den Kopf zu Pauli und sah sie nachdenklich an.
„Ich werde kein Buch nach deinem Tod schreiben“, brummelte sie. „Denn du wirst nicht sterben. Jedenfalls nicht, bevor wir steinalt und grau sind und die Pfleger im Altersheim um den Verstand gebracht haben. Du erinnerst dich? Wir beide beziehen ein Zimmer.“
„Wie könnte ich das vergessen? Da freue ich mich schon jetzt drauf.“
„Dann lass diesen Blick. Diese Geschichte dort vorn hat nichts mit dir zu tun.“
„Er ist an den Folgen von Aids gestorben“, wende ich ein.
„Du hast aber kein Aids“, erwiderte sie ernst. „Ich muss dir doch nun wirklich nicht den Unterschied erklären.“
„Nein, das ist nicht nötig.“
Ihre Hand landete auf seinem Oberschenkel. Sönke genoss die wohltuende Wärme und seufzte erleichtert. Nur langsam sickerte die Erkenntnis durch, dass Pauli es wirklich ernst meinte.
David schob seinen Hintern auf den Tisch und ließ die Beine baumeln. Damit zeigte er sich, im Gegensatz zu den meisten anderen Autoren, die hier lasen, verdammt lässig. Trotzdem spürte Sönke, wie er das Publikum mit seine Art zu reden gefangen nahm. Sie klebten bereits nach wenigen Minuten an seinen Lippen. Auch Sönke konnte sich nicht entziehen. Es war faszinierend, welche Wirkung der Mann mit seinen Worten erzielte. Als er anfing zu lesen, wurde es still im Raum. Gespanntes Schweigen, während David einen Lebensweg zeichnete, der voller Höhen und Tiefen war. Traurige Stellen wechselten sich mit lustigen ab, sodass der Ausspruch: Mit einem lachenden und einem weinenden Auge gewissermaßen wahr wurde. Sönke hörte Pauli neben sich schniefen, zog ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und reichte es ihr. Dann sahen sie sich an und lachten gemeinsam. Pauli lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter. Ein wunderbar vertrautes Gefühl überschwemmte seinen Körper.
In der Pause packte seine Mutter seinen Arm und zog ihn nach vorn. Ergeben folgte er ihr, denn es hatte keinen Sinn, sich zu widersetzen. Ganz abgesehen davon, dass er auch keine unnötige Aufmerksamkeit erregen wollte.

Es bildete sich eine beachtliche Schlange vor dem Büchertisch, hinter dem David bereits eifrig signierte. Sönkes Herz schlug mit jedem Schritt, den sie vorwärtskamen schneller.
„Nehmen Sie sich auch so einen Flyer mit“, sagte David einer Frau, die gerade freudestrahlend sein Buch entgegennahm. „Falls sie auf der Suche nach einer etwas anderen Weihnachtsdekoration sind, kann ich einen Blick in den Onlineshop nur empfehlen.“ Er zwinkerte ihr verschmitzt zu und Sönke schluckte schwer. Noch war er nicht nah genug dran, um den Flyer genauer anzusehen.
„Ich bin ganz aufgeregt“, flüsterte seine Mutter und forderte damit seine Aufmerksamkeit.
„Weshalb denn?“, erkundigte er sich und hoffte, möglichst cool zu klingen. „Du willst doch nur ein Autogramm und machst ihm keinen Heiratsantrag.“ Er grinste sie spöttisch an. „Sei bitte nicht peinlich, Mama“, fügte er noch seufzend hinzu.
„Peinlich, ich weiß gar nicht, was du meinst“, behauptete sie kichernd. Ihm wurde ein bisschen flau im Magen und er überlegte, ob er vielleicht eilig auf die Toilette flüchten sollte. Aber irgendwie ... Sönke war neugierig, ob David ihn erkennen würde.
Schließlich waren sie an der Reihe.
„Es ist für meinen Sohn“, sagte seine Mutter und Sönke seufzte leise. David sah ihn an. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Verdammte Weihnachtsmagie! Er spürte das Kribbeln bis in den kleinen Zeh. Ganz abgesehen von der Hitze, die sich auf seinen Wangen ausbreitete.
„Heute scheint dir nicht so kalt zu sein“, behauptete David.
„Nein, mir ist eher heiß“, erwiderte er und stöhnte dann, als ihm bewusst wurde, wie zweideutig seine Worte waren. „Also wegen der vielen Menschen und ähm ... die Heizung ... und frische Luft ... also ich ... ich brauche ein bisschen frische Luft.“
„Wir können gleich noch ein paar Minuten nach draußen gehen“, sagte seine Mutter. „Es gibt im Flur Getränke. Pauli ist dort sicherlich auch irgendwo.“
„Pauli?“, erkundigte sich David und zog fragend die Augenbrauen nach oben. Verdammt, selbst diese Geste war total sexy.
„Sie ist die beste Freundin meines Sohnes. Die beiden kennen sich schon aus Kindertagen. Es ist beinahe wie bei Ihnen und ihrem Freund. Sogar ...“ Seine Mutter verstummte und sah ihn erschrocken an. „Oh mein Gott“, flüsterte sie und Sönke bemerkte, wie ihre Augen zu glitzern begannen.
„Bitte nicht“, murmelte er entsetzt. Offensichtlich hatte sie den Zusammenhang ebenfalls erkannt.
„Alles in Ordnung?“, fragte David. Jetzt spürte Sönke auch dessen Blick auf sich. „Soll ich Joseph oder Sönke schreiben?“ Erneut hoben sich seine Mundwinkel. Die Frage lenkte auch seine Mutter ab, die sich kichernd dem Autor zuwandte.
„Haben Sie meinen Sohn etwa auf dem Weihnachtsmarkt entdeckt? Ich hatte leider keine Zeit, dabei hätte ich ihn wirklich gern gesehen. Er hat als Kind in der Grundschule jedes Jahr beim Weihnachtsmärchen mitgespielt. Es war ...“
„Wir sind jetzt fertig, Mutter“, knurrte Sönke und nahm das Buch. „Die anderen wollen schließlich auch noch drankommen und Herr Hartwig interessiert sich sicherlich nicht für die alten Geschichten.“
„Doch, das tut er“, behauptete David verschmitzt.
„Vielleicht haben wir am Ende der Lesung noch Zeit für einen Plausch“, sagte seine Mutter. "Wir könnten auch gemeinsam auf den Weihnachtsmarkt gehen.“
„Das wäre toll. Dann muss ich den Abend nicht allein verbringen.“
„Dann ist es abgemacht“, rief sie und klatschte begeistert in die Hände.
„Hier nehmt noch einen Flyer mit.“
Sönke ergriff das dünne Papier und vermied jeden weiteren Blickkontakt. Vermutlich stand sein Gesicht längst in Flammen, denn Pauli betrachtete ihn ganz merkwürdig, als sie sich im Flur trafen. Seine Mutter ging derweil zu ihren Freundinnen.
„Alles in Ordnung?“, fragte sie prompt. „Wirst du krank? Du siehst aus, als wenn du Fieber hast.“ Sie fühlte besorgt seine Stirn.
„Verdammt, Pauli“, knurrte Sönke und ging einen Schritt zurück. „Mit mir ist alles in Ordnung.“ Er wusste, dass er viel zu heftig reagierte, aber er fühlte sich gerade ziemlich überfordert.
„Was ist das für ein Zettel?“ Ohne seinem Ausbruch Beachtung zu schenken, nahm sie ihm den Flyer aus der Hand.
„Da müssen wir nachher unbedingt nachschauen“, behauptete sie kichernd. Sönke zwang sich, wieder zur Ruhe zu kommen. Zerknirscht entschuldigte er sich. Pauli umarmte ihn kurz und hauchte einen Kuss auf seine Wange, ehe sie erneut mit dem Zettel vor seinem Gesicht herumwedelte.
„Guck dir das an“, rief Pauli prustend. „Glaubst du wirklich, es gibt ein Internetportal, das schwängelbells dot com heißt?“
Der Name erregte nun doch Sönkes Aufmerksamkeit. Neugierig nahm er ihr den Flyer ab und konnte ein Grinsen nicht verkneifen.
„Das müssen wir unbedingt herausfinden“, meinte er glucksend und zog das Smartphone aus der Hosentasche.
„Beeil dich, die Pause ist bestimmt gleich vorbei“, ermahnte ihn Pauli und zappelte neben ihm aufgeregt herum. „Vielleicht finde ich dort noch eine Idee für ein Wichtelgeschenk.“
„Wenn du auf ...“ Sönke runzelte die Stirn und hielt das Display dichter vor sein Gesicht. „Also wenn du fickende Rentiere und Schwanzkerzen suchst, bist du hier offenbar richtig.“ Er drehte das Handy herum und zeigte Pauli die Bilder.
„Oh mein Gott“, rief sie lachend und schlug die Hand vor den Mund. „Wir müssen dort unbedingt einkaufen. Ich brauche diese Kerzen und die Weihnachtskugel und ...“
„Ich nehme so eine Kerze“, behauptete Sönke schmunzelnd.
„Die goldene oder die weiße?“, fragte Pauli und grinste ihn breit an.
„Egal, Hauptsache die Schwänze sind drauf.“
„Ich will auch so eine.“
Lachend gingen sie zurück zu den Plätzen. Der zweite Teil der Lesung begann und fesselte Sönke ebenso sehr. Er starrte auf das Buch, das auf seinem Schoß lag.
„Mein fremdes Leben“, las er leise und strich über den Einband. Sein Leben erschien ihm im Moment auch fremd, die Zukunft mehr als ungewiss. Natürlich hegte er die Hoffnung, dass die Therapie funktionierte und HIV keine große Rolle in seinem Leben spielen würde, aber was, wenn alles ganz anders kam? Er wollte sich noch keine Gedanken über den Tod machen, aber dort vorn stand ein Mann, der gerade darüber sprach, wie er seinen besten Freund an Aids verloren hatte. Sönke schluckte schwer. Von rechts und links legte sich eine Hand auf seine Arme und gaben ihm Sicherheit und Trost.
„Was hat er eigentlich ins Buch geschrieben?“, fragte seine Mutter flüsternd.
Gedankenlos öffnete Sönke den Einband und starrte auf den kleinen Text, der auf der ersten Seite stand. Bevor die beiden Frauen neugierig mitlesen konnten, verschloss er das Buch wieder und hielt es fest in seinen Händen.


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Kommentare: 2
  • #1

    Piccolo (Samstag, 15 Dezember 2018 17:48)

    Hallo Karo,

    du glaubst gar nicht wie sehr mir dieses Kapitel gefallen hat. Eine Lesung in einer Bibliothek und dann noch so gut besucht. Da schlägt mein FAMI-Herz gleich viel höher.

    Ja, man könnte meinen, dass David in dem Buch auch Sönkes Schicksal beschrieben hat. Die Parallelen sind unglaublich.
    Seine Mutter schafft es schon noch ihren Sohn mit David zu verkuppeln. Das Knistern ist ja schon längst da.
    Ach ja, was wäre Weihnachte ohne Schwängelbells. Einfach nur Kult dieses Portal.

    LG Piccolo

  • #2

    Jana P. (Sonntag, 16 Dezember 2018 13:12)

    Oh mann, das Kapitel hat mir gefehlt� Jetzt ergibt alles wieder Sinn� David hat also schon Erfahrung und Sönke hat es ihm richtig angetan� LG